Donnerstag, 10. Juni 2021

Warum die Menschen nicht zurück ins Büro wollen

Bild: Wikimedia Commons / Peter Bennet - CC BY 3.0

Wenn grosse Organisationen ihre Angestellten für eine längere Zeit ins Home Office geschickt haben (sei es wegen Pandemien, Bauarbeiten, Überbelegung der Büros oder aus anderen Gründen) kommt es gegen Ende dieser Phasen oft zu interessanten Meinungsbildern. Auf der einen Seite gibt es eine starke Unzufriedenheit mit der Ineffektivität und sozialen Isolation, die Heimarbeit mit sich bringt, auf der anderen Seite einen starken Widerwillen gegen die Rückkehr zur durchgehenden Präsenzarbeit.


Warum das so ist dürfte sich zwar von Fall zu Fall unterscheiden, nachdem ich in den letzten 15 Jahren eine ganze Reihe derartiger Fälle erlebt habe, habe ich aber eine These entwickelt: dass viele Menschen mittlerweile eine grosse Skepsis gegenüber der Präsenzarbeit haben, liegt stark daran, dass das was sie unter diesem Namen kennengelernt haben in Wirklichkeit etwas ganz anderes ist, nämlich schlecht umgesetzte Remote- oder Hybrid-Arbeit.


Um das zu erklären bedarf es zunächst einer Definition: in der Kreativ- und Wissensarbeit findet Wertschöpfung in der Regel nicht durch einzelne Personen statt, sondern durch die Zusammenarbeit in Gruppen oder Teams. Präsenzarbeit muss in diesem Kontext also bedeuten, dass alle Beteiligten gemeinsam vor Ort sind. Sind auch nur Teile des Teams an einem anderen Ort, wird die Arbeit aller Beteiligten automatisch zu Remote-Arbeit, da die Abwesenden ja einbezogen werden müssen.


Und auch das muss definiert werden: "an einem anderen Ort" bedeutet eben nicht nur in einem anderen Land, einem anderen Standort oder zu Hause in der Wohnung. Es schliesst alles ein was nicht in Sicht- oder Rufweite (oder zumindest mit wenigen Schritten erreichbar) ist. Als Faustregel in der Wissensarbeit kann gelten: sobald andere Teammitglieder nicht mehr direkt ansprechbar sind sondern angerufen, angemailt oder angechattet werden müssen kann von eigentlicher Präsenzarbeit nicht mehr die Rede sein.


An dieser Stelle wird das Problem vieler grosser Organisationen offensichtlich. In den einen werden Mitarbeiter zu Projektteams zusammengefasst, die weiterhin bei ihren entsendenden Einheiten sitzen. In anderen wurden feste Arbeitsplätze abgeschafft, so dass man sich täglich einen neuen suchen muss - mit der Folge dass es für Teams schwer wird genug nebeneinanderliegende freie Plätze zu finden. Beides hat eine Verteilung der Teams über verschiedene Räume, Stockwerke oder Gebäude-Flügel zur Folge.


Selbst innerhalb eines Gebäudekomplexes führt diese geografische Verteilung dazu, dass mit den Kollegen auf dem gleichen Weg kommuniziert wird wie mit denen in anderen Standorten oder Ländern, also über Calls, Chats oder Mails. Der Vorteil des gemeinsamen Standorts schrumpft darauf zusammen, dass man einfacher Präsenzmeetings organisieren kann - was aber gemeinsame Präsenzarbeit nur zum Teil ersetzt und ausserdem oft an zu wenigen verfügbaren Meetingräumen scheitert.


Soweit zum ersten Teil der These: was für Präsenzarbeit gehalten wird, ist in vielen Fällen nichts anderes als Remote-(Zusammen-)Arbeit mit Kollegen die irgendwo verstreut im Gebäudekomplex sitzen. Aber es kommt noch ein zweiter Teil dazu, einer dessen Auswirkungen weitgehend unterschätzt werden - es ist nicht nur Remote-Arbeit sondern Remote-Arbeit unter schlechten Bedingungen, was deutliche Auswirkungen auf Effektivität und Ergebnisqualität hat.


Anders als zu Hause, wo man zwar einsam aber ungestört ist, führt das in Grossraum- und Gruppen-Büros stattfindende Zusammensitzen mit den Mitgliedern anderer Teams dazu, dass deren Telefonate und Video Calls mit ihren ebenfalls verstreut sitzende Teammitgliedern einen ständigen Hintergrundlärm erzeugen, gegen den nur noch Schallschutz-Kopfhörer helfen. Da es dadurch unmöglich gemacht wird ansprechbar zu sein verschwindet die direkte Kommunikation fast völlig. Dazu kommt der Stress.


Letztendlich ist es eine Loose-Loose-Situation: um rechtzeitig im Büro sein zu können fallen mit früh Aufstehen und langen Fahrtzeiten die negativen Effekte der Präsenzarbeit an, gleichzeitig bleiben nicht nur deren mögliche Vorteile aus, sondern die zwangsweise auch vor Ort stattfindende de facto-Remote-Arbeit ist sogar stressiger und unkomfortabler als sie es von zu Hause aus wäre. Wer kann es den Menschen verdenken wenn sie nicht zurück ins Büro wollen?


Heisst das also, dass es bei dauerhaftem Arbeiten von zu Hause aus bleiben soll? Auch nicht wirklich, denn hier entstehen andere Probleme. Besser wäre es in der Präsenzarbeit für Bedingungen zu sorgen, die dazu führen, dass sie ihren Namen wirklich verdient hat. Und dafür müsste man nicht einmal besonders innovativ sein, man müsste nur das beherzigen was schon vor einem Vierteljahrhundert als gut erkannt wurde. Es wäre höchste Zeit, die Büros entsprechend umzubauen, dann kommen die Mitarbeiter auch wieder gerne dorthin.

Related Articles