Montag, 9. August 2021

The agile Bookshelf: Dynamic Reteaming

Bild: Pixabay / Metsik Garden - Lizenz

Es gibt Bücher die nicht in erster Linie wegen der Innovativität oder Eloquenz ihres Inhalts grosse Bekanntheit erreichen, sondern weil in ihnen zum ersten mal vor einer grossen Öffentlichkeit eine tabuisierte Wahrheit ausgesprochen oder ein scheinbarer Widerspruch aufgelöst wird. Dynamic Reteaming von Heidi Helfland gehört in diese Kategorie, weshalb es Sinn macht seine Besprechung nicht mit dem Buch selbst zu beginnen sondern mit seinem Entstehungskontext.


Vereinfacht gesagt besteht dieser Kontext aus dem Spannungsfeld zwischen möglichst weitgehender Ressourcenoptimierung und möglichst ungestörtem Arbeiten. Die erste führt dazu, dass versucht wird eine möglichst hundertprozentige Auslastung der Mitarbeiter zu verwirklichen indem sie (ganz oder in Teilen ihrer Zeit) immer dorthin versetzt werden wo gerade Bedarf ist, das zweite geht in die andere Richtung und nimmt ggf. sogar Leerlauf in Kauf um Ineffektivität durch Multitasking und Versetzungs-Bürokratie zu vermeiden.


Während in hierarchisch-arbeitsteiligen Organisationen die Ressourcenoptimierung das dominierende Paradigma ist, wird in agilen Arbeitsumgebungen meistens Wert auf das ungestörte Arbeiten gelegt. Grundsätzlich ist das auch sinnvoll (siehe hier und hier), an vielen Stellen hat es aber zu dem sehr dogmatischen Ansatz geführt, dass ein Wechsel zwischen verschiedenen Teams grundsätzlich abgelehnt wird - schliesslich würde er Unruhe in das Arbeitsumfeld bringen, was ja vermieden werden soll.


An dieser Stelle setzt Helflands Buch an. Nicht etwa durch ein Einsteigen in die gerade beschriebene Diskussion, sondern ganz pragmatisch durch die Feststellung, dass es gute Gründe für neue Teamschnitte oder den Wechsel von Personen zwischen Teams geben kann, und durch Vorschläge wie das möglichst selbstorganisiert und unbürokratisch vor sich gehen kann. Aus diesen Ansätzen ergeben sich auch die drei Abschnitte in die das Buch eingeteilt ist.1


Im ersten Teil "What is Dynamic Reteaming?" werden die Grundlagen gesetzt. Es geht darum was überhaupt ein Team ist, wie man dorthin versetzt werden kann (Spoiler: es gibt mehr als eine Art) und was Gründe dafür sein können einen neuen Teamschnitt anzustreben. Dazu gehören sowohl solche aus der Angestelltenperspektive, etwa der Wunsch nach dem nächsten Karriereschritt, als auch solche aus Systemsicht, wie das Verhindern von Silobildung und eingefahrenen Denkmustern.


Im zweiten Teil geht es konkret um den Vorgang des "Reteamings", bei dem Helfland fünf Haupttypen beschreibt: Einzelversetzung, Teamteilung, Bildung neuer Produkt- oder Spezialistenteams, Teamzusammenlegung und Neuordnung zum Zweck von Wissens- und Erfahrungsaustausch. Für jeden dieser Fälle gibt sie Beispiele und Handlungsempfehlungen, warnt aber auch vor möglichen Fehlern, die die angestrebten positiven Effekte zunichtemachen können.


Im dritten Teil wird schliesslich beschrieben welche Rahmenbedingungen und Praktiken in der umgebenden Organisation dazu beitragen können, dass das Reteaming dynamisch, also schnell und flexibel, wird. Zum Teil ist das sehr spezifisch auf IT-Teams bezogen, es gibt aber auch grundsätzliche Elemente, z.B. vergleichbare Rollen in den verschiedenen Einheiten. Hervorgehoben wird auch, dass die Reteamings nicht nur vor- sondern auch nachbereitet werden sollten.


Wie oben gesagt - das ist alles nicht wirklich innovativ, viele Organisationen (egal ob klassisch oder agil organisiert) nutzen viele Elemente des Dynamic Reteaming schon lange unter anderem Namen. Trotzdem bietet das Buch einen Mehrwert: zum einen in dem es das Dogma der unbedingt zu erhaltenden stabilen Teams aufbricht, zum anderen indem es den bisherigen Wissensstand konsolidiert, zusammenführt und agil-kompatibel aufbereitet. Daher eine klare Leseempfehlung.


1Dieser Text hier bezieht sich auf die zweite Auflage, die erste ist wohl in Teilen anders aufgebaut.

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