Montag, 8. August 2022

PMI goes Agile (II)

Bild: Pexels / Gustavo Fring - Lizenz

Drei Jahre ist es mittlerweile her, dass das Project Management Institute (PMI) das agile Framework Disciplined Agile (DA) gekauft hat. Sicher hat auch hier die Corona-Pandemie einiges von den ursprünglichen Plänen durcheinandergeworfen, trotzdem lohnt sich mittlerweile wieder ein Blick: wie hat sich das DA-Regelwerk entwickelt, wie ist mittlerweile der an den Zertifizierungen ablesbare Verbreitungsgrad, was gibt es sonst noch?


Zuerst zum Regelwerk. Der Baukasten-Ansatz ist weiter vorangetrieben worden, die Möglichkeit den eigenen Arbeitsprozess selbst zu gestalten steht im Vordergrund. Grundlegend ist das auch gut so, die Anleitung für den Auswahlprozess ist aber eine kuriose Mischung aus esoterisch und mechanistisch. Z.B. soll dort wo agiles Arbeiten in Frage kommt das Mindset der Teams geprüft werden. Ist es ein agiles Mindset soll agil gearbeitet werden, wenn nicht dann Lean. Alleine diese Vorgabe wirft viele Fragen auf.


Auch das agile Mindset selber hat jetzt eine Ausformulierung bekommen, in seiner DA-Form besteht es aus den drei Bereichen der Prinzipen, Versprechen und Richtlinien. Auch hier ist wieder grundlegend alles sinnvoll, im Detail aber hinterfragbar. Dass zum Beispiel gleich das erste Versprechen die Herstellung von Psychologischer Sicherheit ist, ist gewagt. Ein derartig fragiles und privates Gefühl ist nur schwer zu beeinflussen. Daran arbeiten kann (und sollte) man, aber es versprechen?


Während diese Aspekte noch ambivalent betrachtbar sind dürfte ein anderer den meisten Agilisten zu Schnappatmung verhelfen: die Rollen. Alleine auf Teamebene gibt es 10 Team- und Unterstützungsrollen, für die umgebende Organisation kommen nochmal 40 weitere dazu. Selbst wenn herausgestrichen wird, dass man nicht alle einführen muss und dass ggf. eine Person mehrere übernehmen kann - das ist im Vergleich zur ursprünglichen Rollen- und Posten-aversen Agilität ein heftiger Paradigmen-Bruch.



Auch einen zweiten Paradigmen-Bruch kann man im aktuellen Stand von DA beobachten: DevOps hat in seiner DA-Variante zwar theoretisch noch seine ursprüngliche Bedeutung von Entwicklung und Betrieb in einer Hand, in den Detailbeschreibungen ist aber vieles doch wieder verkompliziert und in eigene Organisationseinheiten ausgelagert, in denen dann einige der gerade genannten Rollen vorgesehen sind. De facto entsteht so doch wieder eine Parallelexistenz von Entwicklung und Betrieb.


Bei weiterer Betrachtung ist diese Konstellation Teil eines grösseren Musters: je länger man liest desto mehr Themen findet man die sich nicht in der Verantwortung der umsetzenden Einheiten befinden. Einige davon nachvollziehbarerweise (z.B. Recht), bei einigen anderen handelt es sich aber um solche deren Verantwortung man normalerweise innerhalb und nicht ausserhalb eines agilen Teams verorten würde, zum Beispiel Produktmanagement und Architektur. Dies ist der dritte, und bei weitem grösste, Paradigmenbruch.


Die Begründungen dafür lesen sich zunächst eingängig: DA ist explizit nicht für einzelne Teams gedacht sondern für ganze Unternehmen, da gibt es eben Koordinationsbedarf. Und Frameworks wie Scrum bescheiben nicht wie Koordination stattfinden soll. Bei genauerer Betrachtung liegt hier der Knackpunkt - das Grundmuster des kleinen, crossfunktionalen, (teil)autonomen Teams wird in DA gar nicht gewollt (oder für möglich gehalten). Der un-agil wirkende Überbau ist nur die Folge davon.


Nun ja. Bei realistischer Betrachtung ist das PMI mit dieser Einstellung nicht alleine, die meisten grossen Firmen denken so. Kann man daraus schliessen, dass DA zumindest in Konzernen bereitwillige Abnehmer vorfindet und nach und nach dieses Marktsegment aufrollt? Eher nicht. Eine aktuelle Auswertung kommt auf lediglich 5000 verkaufte Zertifizierungen. Zum Vergleich: Scrum Alliance und SAFe haben über eine Million, Scrum.org 700.000, sogar vom veralteten agilen ACP-Zertifikat von PMI gibt es noch 50.000.1


Und apropos Zertifizierungen - die bilden weiterhin ein Kuriosum. Zwar sind sie mittlerweile neu strukturiert und umfassen an Stelle des ehemaligen "Disciplined Agile Lean Scrum Master" (DALSM) jetzt den "Disciplined Agile Scrum Master" (DASM), den "Disciplined Agile Senior Scrum Master" (DASSM), den "Disciplined Agile Coach (DAC) und den "Disciplined Agile Value Stream Consultant" (DAVSC) - im gesamten Regelwerk tauchen sie aber kein einziges mal auf.


Der Gesamteindruck: Disciplined Agile wurde erkennbar strukturiert und konsolidiert, macht aber noch immer über weite Teile einen eher konfusen Eindruck. Und bei vielen Inhalten stellt sich die Frage wie agil es überhaupt noch ist. Nimmt man den Verkauf der Zertifikate als Massstab ist das Ganze zudem ein wirtschaftlicher Fehlschlag. Auch darüber hinaus scheint einiges im Argen zu liegen, im oben erwähnten Artikel steht auch, dass die DA-Gründer Mark Lines und Scott Ambler das PMI verlassen haben.


Das muss natürlich noch nicht das Ende sein, mit seinen Finanzreserven und seiner globalen Verbreitung hat das PMI noch immer gewaltige Ressourcen die es in seinen agilen Bereich stecken kann. Es ist aber zumindest zweifelhaft ob es in absehbarer Zeit dazu kommen wird, dass Disciplined Agile mehr als nur ein Nischendasein fristen wird.



1Zahlen von den Websites der drei Organisationen: Scrum Alliance, SAFe, Scrum.org

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