Montag, 11. September 2023

'Wir haben es mit dem agilen Mindset versucht, aber es funktioniert nicht!'

Bild: Pexels / DS Stories - Lizenz

Man hört ja in letzter Zeit immer wieder, dass es so toll wäre, ein agiles Mindset zu haben. Ist es aber nicht. Wir haben es ausprobiert und es hat überhaupt nicht geklappt!


Dabei waren wir echt offen. Unmittelbar nachdem unser Personalvorstand auf seinem Yoga-Retreat gelernt hat, dass man nur die richtige geistige Haltung braucht, damit sofort alles besser läuft, haben wir die Tat ergriffen und alle unsere HR-Führungskräfte in Weiterbildungen zu Achtsamkeit, Spiral Dynamics und Emotionscoaching geschickt. Das lief auch wirklich total super, einige haben sich sogar ein Enneagram tätowieren lassen.


Wir haben es auch geschafft Fehlentwicklungen einzufangen. Statt sich auf Meditation und NLP einzulassen wollte unsere IT alles auf ihre technische Ebene herunterziehen und uns erzählen, dass Implementierungsdetails wie Clean Code, Build Pipelines und Testpyramiden etwas mit Agilität zu tun hätten (was soll das mit geistiger Haltung zu tun haben?). Zum Glück konnten wir klarmachen, dass wir es sind, die entscheiden was agil ist und was nicht, schliesslich sind wir zertifizierte Agile Mindsetter.


Auch weitere gefährliche Missverständnisse haben wir in dem Zusammenhang korrigieren können. Stellen Sie sich vor, die wollten unser agiles Budget nehmen um ihre Leute in Mob-Programming zu trainieren. Mobbing, das geht doch gar nicht. Wir haben das sofort untersagt und stattdessen alle auf verpflichtende Kurse zu gewaltfreier Kommunikation geschickt. War auch höchste Zeit, denn einige Entwickler sind ausfällig geworden als sie das gehört haben. Die mussten direkt nochmal teilnehmen.


Einen Volltreffer gelandet haben wir bei der Besetzung der Stelle des Agile Coach. Den alten, den die IT irgendwoher besorgt hatte, haben wir weggeschickt, der hatte nur ganz merkwürdige Ideen. Beyond Budgeting und Lean Governance zum Beispiel, wir glauben, der hat nur mit dem Zufallsgenerator Wörter zusammengewürfelt. Sein Nachfolger dagegen hat verstanden worum es geht: er hat allen Mitarbeitern eine Spiral Dynamics-Farbe zugeordnet. Endlich Klarheit, wer das richtige Mindset hat und wer nicht!


Basierend darauf haben wir dann die agile Transition in der Belegschaft durchgeführt, mit dem Ziel ein einheitliches agiles Mindset zu bekommen. Allen Kollegen bei denen die Farben Beige, Purpur, Rot, Blau und Orange diagnostiziert wurden, haben wir Tetralemma-Aufstellungen und AQAL-Coachings als Entwicklungsziele gesetzt, damit sie sich aus ihren eigenen geistigen Beschränkungen befreien können. Und glauben Sie uns, die Coaches die wir dafür geholt haben waren nicht billig.


Das Ergebnis war dann auch erstmal überragend. Jedem Mitarbeiter konnte man die Worte "agil ist ..." zurufen und sie wurden wie aus der Pistole geschossen mit "... ein Mindset" beantwortet. Bei Problemen jeglicher Art wurde immer zuerst über die Einstellung der Beteiligten geredet. Und die Querulanten, die das alles bis zum Schluss nicht mitmachen wollten, haben dann irgendwann gekündigt und machen jetzt ihr DevOps, CI, TDD, XP oder was die sonst noch fälschlicherweise für agil halten woanders.


Sie sehen also, wir haben nicht nur alles dafür getan um ein agiles Mindset zu bekommen, wir haben es sogar erfolgreich geschafft, die Agile Mindsetter-Zertifikate sind der Beweis. Aber jetzt kommts: trotzdem sind Arbeitsgeschwindigkeit, Produktqualität, Reaktionsfähigkeit oder Kundenzufriedenheit nicht nach oben gegangen sondern nach unten. Wir müssen deshalb die unbequeme Wahrheit aussprechen: Wir haben es mit dem agilen Mindset versucht, aber es funktioniert nicht. Untertanenkultur war doch besser.


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Bevor sich jemand aufregt - natürlich ist alles was weiter oben steht populistisch, polemisch und überspitzt. Aber: alles was ich dort aufgeschrieben habe, habe ich irgendwann mal im Rahmen verschiedener agiler Transition erlebt, sogar die Enneagram-Tätowierung und den zertifizierten Agile Mindsetter. Ein Grossteil des angeblichen Veränderungswiderstands in Belegschaften lässt sich damit erklären, dass ihnen derartige Esoterik als Bestandteil von Agilität verkauft wird.

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