Montag, 25. September 2023

Doch wie Spotify werden (III)

Lange wurde darüber diskutiert ob das so genannte Spotify Model mit seinen Squads, Chaptern, Gilden und Tribes überhaupt als agiles Skalierungsframework konzipiert wurde, oder ob es nur eine zufällige Momentaufnahme aus der Entwicklung dieser Firma ist. Diese Diskussion dürfte mittlerweile obsolet sein, seit dieses Modell von den grossen Strategieberatungen bei einem Konzern nach dem anderen eingeführt wird, hat es sich von seinen Ursprüngen gelöst und ist zu etwas Eigenständigem geworden.


Auch die Frage ob man es überhaupt in anderen Firmen als Spotify einführen kann ohne es zu stark zu verfremden dürfte mittlerweile beantwortet sein. Zwei seiner Urheber, die ehemaligen Spotify-Agile Coaches Joakim Sunden und Henrik Kniberg sind klar der Meinung das das durchaus möglich ist, und haben derartige Einführungen auch in anderen Firmen begleitet. Was bleibt, ist die entscheidende Zusatzfrage - unter welchen Umständen ist eine solche Einführung sinnvoll?


Eine Antwort darauf lässt sich bei einem dritten der ehemaligen Agile Coaches von Spotify finden, bei Cliff Hazell, der (u.a. in diesem Podcast) die Rahmenbedingungen erklärt hat, aus denen heraus das Spotify Model entstanden ist. Der entscheidende Punkt: es macht nicht für bestimmte Unternehmensarten, Unternehmensgrössen oder Branchen Sinn, sondern für Unternehmen in einer bestimmten Phase, nämlich in der, in der sie schnell wachsen.


Wer schon einmal die Scale Up-Phase eines Unternehmens mitgemacht hat kann nachvollziehen was er meint. Starkes Wachstum bedeutet für die einzelnen Angestellten permanente Veränderung. Teams werden neu gegründet, geteilt oder aufgelöst, Postionen neu geschaffen, besetzt und wieder abgeschafft, Value Streams bilden sich und spalten sich auf, etc. All das ist für das jeweilige Unternehmen sinnvoll und notwendig, hat für die Einzelpersonen aber zwei grosse Nachteile.


Zum einen wird der Aufbau sozialer Beziehungen zu den Arbeitskollegen schwierig, da diese ständig wechseln. Vertrauensverhältnisse, psychologische Sicherheit und kollektives Gedächtnis können sich so nur erschwert oder gar nicht bilden, was negative Effekte auf verschiedene Bereiche hat, von der Arbeits-Produktivität und -Effektivität über die Identifikation mit dem Unternehmen bis hin zur Zufriedenheit mit der eigenen Tätigkeit.


Zum anderen wird die Förderung und Entwicklung der einzelnen beruflichen Karrieren schwieriger. Wer ständig in neue Teams versetzt wird, und damit ständig neue Arbeitsthemen und Vorgesetzte bekommt, wird es schwer haben, sich gezielt und langfristig in eine bestimmte fachliche Richtung weiterzuentwickeln, ausserdem wird den Vorgesetzten aufgrund der kurzfristigen Zuordnungen nur schwer beurteilen können, ob Gehaltserhöhungen, Beförderungen, o.Ä. gerechtfertigt wären.


Das Spotify Model hat diese Nachteile einer Wachstumsphase kompensieren können. Die ständigen Umorganisationen fanden im Rahmen der Squads (Entwicklungsteams) statt. Da aber jeweils mehrere Squads einem Tribe (einer Art Abteilung) angehörten, und die Einzelpersonen vor allem zwischen den Squads eines Tribes wechselten, konnten sie ihre sozialen Beziehungen in dieser grösseren Einheit aufbauen und dort ihre organisatorische Heimat finden.


Gleichzeitig existierten innerhalb dieser Tribes nicht nur die produktorientierten Squads, sondern auch so genannte Chapter, Querschnittsorganisationen für Spezialisten (Frontend, QA, etc), aus denen die Einzelpersonen in die Squads entsandt wurden, und in denen sie auch ihren Vorgesetzten hatten (den Chapter Lead), der sie langfristig begleiten und zusammen mit ihnen ihre Karriere entwickeln konnte. Vor diesem Hintergrund machte das Spotify Model in dieser Wachstumsphase Sinn.


Springen wir in die Gegenwart. Wie Spotifys CTO Gustav Soderström in einem anderen Podcast erklärt hat, ist die Wachstumsphase seines Unternehmens mittlerweile vorbei und die Teams haben sich stabilisiert. Ohne die zu kompensierenden Auswirkungen des Wachstums ist die alte Struktur der sich überlappenden Einheiten nicht mehr nötig und wurde abgeschafft, heute hat die Firma einen eher klassischen Abteilungs-Aufbau, der einfacher und effizienter ist.


Was wir daraus lernen können: wenn die Umstände stimmen (und Phasen des Wachstum oder einer sonstigen Umorganisation sind derartige Umstände), kann das so genannte Spotify Model für eine Zeit lang eine gute Idee sein um die eigene Firma zu organisieren, es sollte aber regelmässig darauf überprüft werden, ob das noch immer der Fall ist. Wenn das nicht mehr so ist machen andere Strukturen mehr Sinn, je nachdem in welchen Umständen die Organisation sich jetzt befindet.


Und falls sich jetzt jemand fragt, was das für die zu Beginn genannten Konzerne und Strategieberatungen bedeutet, die gerade flächendeckend Squads, Chapter, Gilden und Tribes ausrollen - nun ja, decken wir darüber den Mantel des Schweigens. Das ist eher ein Thema für die Ethnologie.

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