Montag, 3. November 2025

Mother Tongue (II)

Bild: Unsplash / Alex Mihai C - Lizenz

Wer Methoden und Techniken einsetzt, die in einer anderen Sprache entwickelt wurden, wird das Phänomen kennen: nicht alles ergibt für einen intuitiv den Sinn, den ein Muttersprachler einfach erfassen könnte, viele Bedeutungen müssen nachgeschlagen werden, und an einigen Stellen kommt es vor, dass man erst zu spät herausfindet, irgendetwas falsch verstanden zu haben. Das ist auch bei den verschiedenen agile Frameworks nicht anders.


Ein Problem das dabei für Nicht-Muttersprachler immer wieder auftreten kann, ist die mögliche Mehrdeutigkeit der Begriffe. Besonders bei denjenigen, die vorher unbekannt waren, besteht das Risiko, dass sie nur der einen Bedeutung zugeordnet werden, mit der man sie zu Beginn kennengelernt hat. Im Folgenden kann es schlimmstenfalls zu einem so eingeengten Begriffsverständnis kommen, dass weitere Bedeutungen abgelehnt werden, selbst dann wenn sie ebenfalls richtig sind.


Ein häufig anzutreffendes Beispiel für dieses Phänomen ist das Committment, das vor allem in Scrum eine zentrale Bedeutung hat. hier aber in gleich zwei Bedeutungen vorkommt. Zum einen als einer der Scrum-Werte, der sich übersetzen lässt als die ständige Anstrengung, gute Arbeit abzuliefern, zum anderen als Teil der drei Artefakte Product Backlog, Sprint Backlog und Increment, bei denen es sich um konkrete Umfangs- und Qualitätsbeschreibungen von Zielen und Ergebnissen handelt.


Je nachdem welche dieser Bedeutungen man zuerst gelernt hat, wird man (unter der Voraussetzung, dass man sich die andere mittlerweile nicht auch angeeignet hat) eine sehr einseitige und unvollständige Idee davon haben, wofür das Committment in Scrum steht. Entweder man wird es als einen anspruchsvollen aber abstrakten Anspruch verstehen oder als eine konkrete Beschreibung von Ziel- und Liefergegenstand-Eigenschaften, die die Ausgangsbasis für Planungen und Erfolgskontrollen bildet.


Derartige Beispiele lassen sich immer wieder finden. Eine Policy kann z.B. in Kanban ein Kriterien-Katalog sein, der zu erfüllen ist, bevor eine Aufgabe in den nächsten Status bewegt werden kann, es kann aber auch jegliche andere Regel oder Strategie sein. Ready kann je nach Kontext bedeuten, dass man die Arbeit an etwas beginnen kann, oder dass die Arbeit an etwas abgeschlossen wurde. Ein Planning kann am Anfang eines Sprints stattfinden, aber auch für Einzelaufgaben durchgeführt werden. Etc., etc.


Der beste Weg, sich vor derartigen Begriffsverengungen und den daraus folgenden Missverständnissen zu schützen besteht natürlich darin, die Sprache zu lernen, in der das jeweilige Vorgehen ursprünglich entwickelt wurde. Im Fall der verschiedenen agilen Ansätze ist das fast ausnahmslos (amerikanisches) Englisch und im Fall von Lean Management japanisch, im Fall von einzelfallspezifischen Vorgehensmodellen können auch weitere dazukommen, etwa spanisch oder holländisch.


Für alle, denen dafür Zeit, Geduld oder Veranlagung fehlen, gibt es aber noch eine zweite Möglichkeit: das Zeigen von Demut und Neugier. Demut in dem Sinn, dass man sich ständig bewusst macht, bei der Durchdringung aller Begrifflichkeits-Nuancen Defizite zu haben, und Neugier dahingehend, dass man ständig überprüft, ob es nicht noch weitere Bedeutungen gibt, die einem bisher entgangen sind.

Related Articles