Montag, 21. Dezember 2020

The agile Bookshelf: No Rules Rules

Bild: Unsplash / Thibault Penin - Lizenz

Wer gerade nach einem Geschenk für irgendeinen im Dunstkreis der Agilität arbeitenden Menschen sucht kann dieses Buch ins Auge fassen: No Rules Rules: Netflix and the Culture of Reinvention von Reed Hastings und Erin Meyer ragt aus der "agilen Fachliteratur" heraus, da es nicht der gefühlt hundertste Erklärband der Prinzipien und Frameworks ist, sondern ein Praxisbericht aus einem der grossen agilen Vorzeigeunternehmen.


In ihm findet man bereits auf den ersten Seiten das was Netflix1 je nach Sichtweise berühmt oder berüchtigt gemacht hat: das Herunterfahren von Prozessen und Vorschriften auf ein Minimum, grösstmögliche Offenheit und Ehrlichkeit im Umgang untereinander und Streben nach hoher Talentdichte, das letzte verbundem mit dem kontroversen so genannten "Keeper Test", bei dem jeder Manager sich regelmässig zu jedem seiner Untergebenen die Frage stellen soll ob er dafür kämpfen würde ihn zu behalten - um jeden bei dem das mit Nein beantwortet wird sofort zu entlassen.


Der Grossteil des Buches dreht sich dann darum wie diese drei Ziele (wenig Prozesse, grosse Ehrlichkeit, hohe Talentdichte) über die Zeit weiterentwickelt wurden, was sich damit zusammenfassen lässt, dass sie jeweils durch drei Phasen geführt werden: Einführung, Stabilisierung und Maximierung. Aus diesen jeweils drei Phasen für jeden der drei Prozesse ergeben sich die neun Hauptkapitel des Buches, in die die beiden Autoren ihre jeweils eigenen Blickwinkel einbringen.


Bei Hastings ist das die des Firmengründers, bzw. CEOs. Er beschreibt zahlreiche Entwicklungen und Ereignisse aus seiner Firma (und anderen Stationen seines Lebens), führt aus wofür sie beispielhaft stehen, was er daraus gelernt hat und welche Massnahmen er daraus abgeleitet hat. Seine Sicht ist damit subjektiv und authentisch, z.T. mit tiefen Einblicken in sein Leben (so erfährt man zum Beispiel, dass er und seine Frau eine Eheberatung hatten, weil sein Beruf zeitweise zu wenig Platz für sein Privatleben liess).


Ergänzend dazu liefert Erin Meyer (Wissenschaftlerin und Autorin des Buches The Culture Map) die Perspektive des externen Experten. Sie referenziert verschiedene Studien und Forschungsergebnisse, hat aber auch für das Buch selbst Forschungsarbeit geleistet und 200 Interviews mit Netflix-Angestellten aller Hierarchiestufen geführt. Auch ihre Anteile am Buch haben viele anekdotische Passagen, insgesamt wirken sie aber stärker erklärend und einordnend als die von Hastings.


Die Stärke des Buches ergibt sich daraus, dass die beiden Sichtweisen zwar erkennbar sind, gleichzeitig aber fliessend ineinander übergehen, so dass an keiner Stelle das Gefühl stilistischer oder inhaltlicher Sprünge oder Brüche aufkommt. Als Ergebnis liest es sich flüssig und eingängig, man hat nicht das Gefühl, dass es sich um sozialwissenschaftliche oder betriebwirtschaftliche Literatur handelt (selbst wenn es das in gewisser Weise ist).


Aus ausser-amerikanischer Sicht von besonderem Interesse ist darüber hinaus das zehnte Kapitel, in dem die Varianten der Netflix-Unternehmenskultur in anderen Landesgesellschaften beschrieben werden. Eine schöne Fallstudie wie man Inpect & Adapt betreiben und trotzdem an zentralen Prinzipien festhalten kann.


1Die Firma, nicht das Video-Portal

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