Samstag, 22. Mai 2021

Customer-Vendor Antipattern (II)

Bild: Pixabay / Suju-Foto - Lizenz

Würde man die populärsten Missverständnisse über Scrum sammeln gäbe es eines das ganz sicher weit oben in der "Beliebtheitsskala" auftauchen würde: das, dass sich der Inhalt eines Sprints nicht mehr ändern darf sobald er gestartet wurde. Gerade weil es so verbreitet ist lohnt sich ein näherer Blick. Worum geht es in diesem Missverständnis, wie konnte es zu ihm kommen und überhaupt - was ist eigentlich falsch daran?


Zunächst zur Erläuterung. Im Rahmen eines Sprints, also eines Zeitraumes von ein bis vier Wochen, liefert ein Scrum Team eine bestimmte Menge an Mehrwert ab, z.B. in Form neu programmierter Software-Features. Diese zu liefernden Features werden vor dem Sprint in Anforderungen beschrieben (häufig in Form von User Stories) und in das so genannte Sprint Backlog übernommen, das im Sprint abgearbeitet wird. An dieser Stelle steht dann häufig das Missverständnis: viele Menschen glauben, dass während des Abarbeitens keine Änderungen an diesen Anforderungen mehr stattfinden dürfen.


Wann dieser populäre Irrtum entstanden ist lässt sich zwar nicht mehr genau rekonstruieren, die mit ihm regelmässig mitgelieferten Begründungen lassen aber erahnen wie das geschehen sein dürfte. Von Product Owner-Seite heisst es meistens, dass die Entwickler sich durch Änderungen am Sprint-Inhalt aus den gemachten Zusagen herauswinden könnten, von Entwickler-Seite, das ihnen der Product Owner auf diese Weise zusätzliche Arbeit unterschieben könnte. Beides lässt tief blicken.


Was aus diesen Aussagen erkennbar wird ist, dass sich hier alle Beteiligten im Customer-Vendor Antipattern verfangen haben. Beide betrachten den Sprintumfang als das Ergebnis einer Verhandlung in der sie versucht haben der jeweils anderen das Maximum an Zugeständnissen abzuringen. Der Product Owner hat möglichst viele Anforderungen in den Sprint drücken wollen, die Entwickler dagegen haben deren Menge möglichst gering halten wollen um ohne Zeitdruck arbeiten zu können.


Auch eine ähnliche Variante kommt häufig vor: in ihr ist es nicht der Product Owner der den Entwicklern möglichst hohe Zusagen abringen will sondern es sind ausserhalb des Teams stehende Stakeholder. Der Product Owner befindet sich in dieser Konstellation entweder gemeinsam mit den Entwicklern in einer Abwehrhaltung oder eher befindet sich in einer Zwischenposition in der er es keiner der beiden Seiten recht machen kann.


Die Auswirkungen des Customer-Vendor Antipatterns können weit über das Team hinaus verheerend sein. Latentes Misstrauen im Refinement, erbittertes Feilschen im Planning, ein Gefühl des übervorteilt worden Seins im Review und gegenseitige Vorwürfe in der Retrospektive sind häufig auftretende Folgen dieser gegeneinander gerichteten Positionierung der Teammitglieder, die den Ruf der Beteiligten, der angewandten Methodik aber auch der diese Konflikte zulassenden Firma schwer beschädigen können.


Um es dazu nicht kommen zu lassen ist es dringend anzuraten bereits auf erste Zeichen dieses Antipatterns zu achten und ihnen von Anfang an entgegenzutreten. Das kann innerhalb des Teams durch Retrospektiven geschehen oder ausserhalb dadurch, dass übergriffige Stakeholder in ihre Schranken gewiesen und die Autorität des Product Owners ihnen gegenüber gestärkt wird, es kann aber auch durch Arbeit an den Rahmenbedingungen geschehen.


Die einfachste Art das zu tun führt dabei wieder zurück zum Beginn dieses Textes, denn sie besteht aus der Beseitigung des Missverständnisses, dass der Inhalt eines Sprints sich nicht mehr ändern darf sobald er gestartet wurde. Richtig ist in Scrum nämlich, dass der Sprintinhalt sehr wohl geändert werden kann (siehe hier), lediglich das Sprint-Ziel nicht. Mehr noch: der Sprint-Inhalt muss sogar geändert werden sobald das Sprint-Ziel gefährdet ist, um es zumindest in einer abgespeckten Version erreichen zu können. Und umgekehrt: wenn es früher als gedacht erreicht wird kann Arbeit nachgezogen werden.


Hat ein Scrum Team diese Vorgaben einmal verinnerlicht wird das Customer-Vendor Antipattern von sich aus nach und nach verschwinden, alleine deshalb weil alle mühsam erfeilschten zu grossen oder zu geringen Zusagen wieder ausgeglichen werden sobald klar wird, dass sie an der Realität vorbeigehen. Die Möglichkeit und damit auch der Anreiz den anderen zu übervorteilen entfallen einfach, und als Folge dessen gehen auch die schädlichen Verhaltensweisen zurück.

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