Dienstag, 12. Dezember 2023

Larman's Law (I)

Mit der Zeit haben sich viele Menschen Gedanken über die ungeschriebenen Gesetze der Organisationsentwicklung gemacht und versucht sie (auf manchmal seriöse, manchmal aber auch eher zynische Art) auf Papier zu bringen. Besonders produktiv war dabei Craig Larman, der Erfinder von LeSS, der insgesamt fünf Gesetze verfasst hat, die er Larman's Laws of Organizational Behavior genannt hat. Heute soll es hier um das Erste von ihnen gehen. Es lautet:


Organizations are implicitly optimized to avoid changing the status quo middle- and first-level manager and “specialist” positions & power structures.


Zu Deutsch: Organisationen sind implizit darauf optimiert, den Ist-Zustand der bestehenden Management-, Spezialisten- und Machtpositionen zu erhalten. Jedem, der schon einmal an Versuchen beteiligt war, bestehende Zustände in Unternehmen oder Behörden zu verändern, wird das bekannt vorkommen. Was man bei Larmans erstem Gesetz aber bedenken sollte - man muss es nicht nur negativ sehen, es stecken sowohl gute als auch schlechte Aspekte dahinter.1


Um mit den Guten zu beginnen: eine Organisation, die ihre zentralen Kommunikationsflüsse und Entscheidungsstrukturen schützt, ist erst einmal resilient, also widerstandsfähig gegen Krisen und Disruptionen. Das ist im Grundsatz etwas Positives. Auch dass dabei die Position des Managements geschützt wird ist erstmal nicht schlecht, schliesslich hält es traditionell geführte Firmen durch Zielsetzungen und Koordination am Laufen und sichert so ihr Fortbestehen.


Selbst in Organisationen, die sich in Richtung Agile oder Lean entwickelt haben, kann es noch wichtig sein, die Position der Manager und Spezialisten zu schützen oder sogar zu fördern. Ein Beispiel für derartige Konstellationen sind die Unternehmen des Silicon Valley mit ihrer in Europa eher unbekannten Rolle des Tech Lead Manager, ein anderes die Lean-Unternehmen aus Japan, über die Ikujiro Nonaka, einer der "Urväter von Scrum" einmal sagte:


In Japan, the middle management is going to be the key to innovation. Not top-down or bottom-up, but middle-up-down is the power of Japanese organizations.


Auf der anderen Seite gibt es natürlich auch die Fälle, die kritisch zu sehen sind. Sie liegen dann vor, wenn notwendige oder aus Unternehmenssicht wichtige Dezentralisierungs- oder Delegations-Initiativen von den bisherigen Managern oder Spezialisten unterlaufen oder behindert werden. Selbst dann macht es aber noch Sinn zu differenzieren: das (scheinbare) Beharren auf alten Mustern muss nicht auf Destruktivität beruhen, es können auch gut gemeinte Reparaturversuche sein.


Diese treten vor allem dann auf, wenn Teams oder Organisationen in die Autonomie-Falle getappt sind, indem sie Selbstorganisation ausrufen, ohne zu bedenken, dass für deren wirksame Ausübung Wissen notwendig sein kann, das zuerst vermittelt werden müsste. Um zu verhindern, dass Manager oder Spezialisten "rettend eingreifen müssen", macht es Sinn, eine solche Transition mit unterstützender Begleitung durchzuführen.


Erst in einer letzten Kontstellation geht Larmans erstes Gesetz auf wirklich problematische Verhaltensweisen zurück: dann, wenn von Spezialisten oder Managern versucht wird, Veränderungen zu unterlaufen, um den eigenen Einfluss, Status oder Budget-Topf zu sichern. Ist das der Fall, sitzen die genannten Positionen durch ihren Wissens- und Macht-Vorsprung meistens am längeren Hebel als die Veränderungs-Befürworter. Das ist dann ein Problem.


Selbst darin kann man aber noch ein letztes bisschen Positives finden: Am Umgang der obersten Hierarchie-Ebene mit diesen Verhaltensweisen kann man erkennen, wie ernst sie es mit den Veränderungen meint. Lässt sie sie zu, trägt sie zu den von Craig Larman beschriebenen Mechanismen bei. Das ist dann zwar schade, zumindest weiss man aber, woran man ist. Das ist immerhin etwas.



1Alles ab hier ist meine Meinung, nicht mehr die von Larman

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