Montag, 15. April 2019

Deine Muda: Overprocessing

Bild: Pixabay / Geisteskerker - Lizenz
Siebter Teil der Deine Muda-Serie. Die sechste Art der Mudas (無駄), also der nicht gewinnbringenden (und aus diesem Grund zu vermeidenden) Tätigkeiten des Toyota Production System ist die Überregulierung, auf englisch Overprocessing. Diese Muda ist etwas Besonderes: während die ersten fünf (Transportation, Inventory, Motion, Waiting und Overproduction) die zeitweise Untätigkeit, bzw. Nicht-Nutzung von Personen und Gütern zum Inhalt haben verhält es sich hier anders. Es herrscht eine hohe Auslastung, nur eben keine sinnvolle.

Die meisten Angestellten kennen es - ein Grossteil ihres Arbeitstages besteht aus Tätigkeiten die nicht zur Wertschöpfung beitragen sondern die Befolgung von Dokumentations-, Beantragungs- oder Arbeitsvorschriften sind. Sind die Empfänger einer Mail nach Hierarchie geordnet? Wurde für den Antrag das vorgeschriebene gelbe Formular verwendet und nicht das blaue? Waren alle Mitarbeiter in der Anwendungsunterweisung für die neuen Bürostühle?

Die offensichtlichte Folge einer derartigen Überregulierung sind steigende Kosten. Die für die Befolgung und Umsetzung der Vorschriften nötige Zeit ist Arbeitszeit die dann an anderer Stelle fehlt. Die ursprüngliche Intention kann sich so in ihr Gegenteil verkehren. Statt alles effizienter und billiger zu machen (das ist nämlich die Absicht der meisten Prozesse) wird alles langsamer und damit teurer. Und auch das lässt sich noch steigern: wenn ganze Stellen geschaffen werden die nichts anderes machen als Prozesseinhaltung zu überwachen. Auch die kosten Geld.

Ein weiterer Effekt von Überregulierung kann sein, dass nicht nur Zusatzaufwand entsteht sondern bestehende Prozesse sich verschlechtern, etwa wenn durch den Versuch Menschen besser auszulasten Staus entstehen. Hinter diesem Phänomen steckt meistens das Gesetz der Penetranz der negativen Reste: um die letzten Effizienzreserven zu heben werden Regulierungen eingeführt die für diesen Zweck unverhältnismässig kompliziert sind - und statt zu Verbesserungen kommt es zu Verschlechterungen.

Weitgehend unberücksichtigt kommt noch ein dritter Faktor dazu: eine starke Regulierung des Arbeitsalltags kann schnell dazu führen, dass nicht mehr offensichtlich ist an welche Vorschriften man sich jetzt halten muss. Ist bei der Beantwortung einer Beschwerde nur der Leitfaden für Kundenkontakt zu beachten oder auch der für lösungszentrierte Kommunikation und der für revisionssichere Fach-Dokumentation? Derartige Unklarkeiten führen schnell in Regel-Aversion und informelle Strukturen, beides mit Effektivitätsverlusten als Folge.

Aus diesen Gründen ist es empfehlenswert die vorgegebenen Prozesse und Regulierungen möglichst gering zu halten und regelmässig zu überprüfen ob die bestehenden sich nicht abschaffen lassen. Im letzten Fall wichtig: abschaffen, nicht durch andere ersetzen. Sonst ist nicht viel gewonnen.

Related Articles