Donnerstag, 7. Juli 2022

Solicitud de Número de Identidad de Extranjero (NIE) y Certificados (LO 4/2000 y RD 557/2011)

Es gibt sie, diese wirklich schlimmen Situationen in denen man sich hilflos einer alles verlangsamenden Bürokratie ausgeliefert fühlt. In dem jeweiligen Moment ist das vor allem ein Gefühl der Machtlosigkeit, man kann aber auch versuchen Positives daraus zu ziehen: zum Beispiel lässt sich an diesen Fällen gut analysieren welche Faktoren und Mechanismen überhaupt dazu führen, dass die Bürokratie (die ja auch gute Seiten hat) so über die Stränge schlägt. In anderen Kontexten kann man dann vorbeugen.


Der aktuelle Fall ist folgender: für einige zukünftige Vorhaben werde ich in der Lage sein müssen in Spanien Geschäfte abschliessen zu können. Das ist dank der Europäischen Union auch möglich, erfordert aber, dass man sich zuvor eine Ausländeridentifikationsnummer ausstellen lässt, oder wie es im Spanischen heisst eine Número de Identidad de Extranjero, abgekürzt NIE. In Spanien bekommt man die bei der Polizei, im Ausland ist es komplizierter.


Vor der Corona Pandemie konnte man für die NIE einfach ohne Termin das nächste Konsulat aufsuchen. Früher oder später hatte dann dort ein Sachbearbeiter Zeit und zog aus irgendeiner Schublade die entsprechenden Formulare, die man zusammen mit ihm ausfüllen konnte. Mit Corona hat sich das geändert, da (nachvollziehbarerweise) verhindert werden soll, dass sich im Konsulatsgebäude Menschenansammlungen bilden. Man muss sich jetzt online einen Termin geben lassen.


Diese Online-Terminvergabe funktionierte bis in den letzten Winter so: auf der Website des Konsulats fand man nach etwas Suchen die NIE-Themenseite. Sehr deutlich wurde dort darauf hingewiesen, dass die Beantragung nur in Präsenz möglich ist, und dass ein solcher Termin nur durch ein Kalender-artiges Tool gebucht werden könnte, nicht am Telefon oder per Mail. In diesem Tool fand sich aber kein einziger freier Termin. Nicht ein einziger. auch langfristig nicht.


Ich habe dann doch angerufen und landete bei einem sehr freundlichen Menschen, der den Grund erklärte. Da in den jeweils nächsten Wochen alle Termine immer ausgebucht wären würden viele Antragsteller gleich mehrere Termine in der weiteren Zukunft buchen, um dann Auswahl und Flexibilität zu haben. Die meisten würden daher kurz bevor sie stattfinden bestimmt wieder freigegeben, ich sollte einfach immer wieder auf die Seite gehen um einen solchen Moment zu erwichen.


Verärgert aber schicksalsergeben machte ich das, manchmal täglich, manchmal wöchentlich, manchmal mehrfach am Tag. Über mehrere Monate lang, ohne Erfolg. Auch ein weiterer Anruf brachte nichts. Man könne nichts machen, die Termine seien nun mal ausgebucht und man könne schliesslich nicht wissen welcher wirklich wahrgenommen werden würde. Also ging es weiter, bis im Frühling plötzlich etwas Unerwartetes passierte: die NIE-Themenseite war von der Website des Konsulats verschwunden.


Da das gesamte Design der Internet-Präsenz sich verändert hatte war auch klar warum: es hatte ein Relaunch stattgefunden. Kinderkrankheiten sind da normal, also wartete ich ein paar Tage. Es passierte aber nichts. Ein weiterer Anruf bestätigte den Verdacht. Wieder war ein freundlicher und hilfsbereiter Mensch am Apparat, der sich für die Probleme der Umstellung entschuldigte und um Geduld bat, bald würde sicher alles funktionieren. Aber natürlich kam es nicht so, der Link führte weiter zur 404-Seite.


Nach einigem Warten gab es im nächsten Anruf einen rettenden Ratschlag: ich sollte eine Email schreiben, auf die könnte man mit dem Link zur neuen NIE-Seite antworten, die zwar schon länger da wäre, aber über die Navigation nur gefunden werden könnte wenn Spanisch als Sprache eingestellt wäre und man genau wüsste auf welcher Seite man nach welchen Informationen filtern müsste (und über die Suchfunktion gar nicht, die wäre kaputt). Und siehe da, in der Antwortmail war der richtige Link.


Meine Theorie: dass ich dort endlich einen Termin buchen konnte lag daran, dass die meisten Antragsteller diese Seite bis heute nicht finden (oder kein Spanisch sprechen, nur in dieser Sprache gibt es sie). Etwa ein Dreivierteljahr nachdem ich zum ersten mal auf der Website des Konsulats war konnte ich mich auf den Weg machen und mit dem ausgefüllten Formular Solicitud de Número de Identidad de Extranjero (NIE) y Certificados (LO 4/2000 y RD 557/2011) meine Identifikationsnummer beantragen.


Natürlich ist das hier nur eine verkürzte Darstellung der Ereignisse, aus der einige Details weggelassen wurden um die Geschichte kurz zu halten. Aber ich wollte ja nicht nur meine Bürokratie-Erfahrungen beschreiben sondern noch etwas anderes machen. Stellen wir uns die Frage: an welcher Stelle wurden hier vermutlich die Fehler gemacht, durch die ich gefühlt in die Fänge der spanischen Inquisition geraten bin? Wohl an zu vielen, aber hier sind einige offensichtliche:


Der alte, zwar irgendwie funktionierende aber manuell-anachronistische Prozess wurde nicht rechtzeitig um einen neuen, digitalen ergänzt. Ein Klassiker. Es hätte genug Beispiele dafür gegeben wie der gestaltet werden kann und beim Corona-Ausbruch hätte man auf bestehende, online funktionierende Prozesse und Routinen zurückgreifen können. So musste es dann überhastet stattfinden. Ein schönes Beispiel für die Folgen von Modernisierungsrückständen.


Auch die erste digitale Lösung (vor dem Relaunch im Frühling) hatte ihre Probleme, mit der Überlastung der Kundenschnittstelle als vielleicht schwerstem. Ohne die komplette Verbuchung aller Tage der näheren Zukunft hätten die Antragsteller keine Motivation gehabt das System durch mehrfach-Termine auch dauerhaft zu überbuchen. Oder anders betrachtet: wer auch immer diese Prozesse designed hat, er hatte offensichtlich keine Vorstellung von den Verhaltensmustern seiner Kunden (siehe auch hier).


Apropos keine Vorstellung: die fehlte hier anscheinend in Bezug auf Anforderung, Entwicklung und Abnahme von Software. Unterschiedliche Features in unterschiedlichen Sprachen, schwerwiegende Bugs in banalsten Funktionen (wie dem Benutzen der Suchfunktion), fehlende Redirects der alten auf die neuen Internetadressen - ein häufiges Bild in Organisationen die noch nicht erkannt haben, dass sie zu wesentlichen Teilen aus Software bestehen und glauben sie billig outsourcen zu können.


Was in solchen Kontexten dazukommt: offensichtlich wurde beim Systemdesign nicht nur das Nutzer-Verhalten nicht berücksichtigt, auch die Expertise der eigenen Mitarbeiter wurde nicht einbezogen, weshalb diese trotz bestem Willen machtlos zusehen mussten wie ihre Kunden in kafkaesken Warte- und Nicht-Bearbeitungsschleifen festhingen, die ihnen trotz offensichtlicher Unzulänglichkeit von irgendwelchen Systemworkflows aufgezwungen wurden.


Gerade weil dieser Fall so eklatant ist eignet er sich gut um aufzuzeigen wie eigentlich wohlmeinende und hilfsbereite Organisationen in Verhaltensmuster abkippen können, die von ihren Kunden dann als Bürokratie wahrgenommen werden. Die Gründe liegen in der Regel in den Systemen, sowohl den sozialen als auch den technischen. Die Moral von der Geschichte kann daher nur lauten regelmässig an denen zu arbeiten.

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