Donnerstag, 26. Juni 2025

Agilität, dort wo man sie nicht vermutet (III)

Dass die öffentliche Verwaltung an manchen Stellen agiler ist als man vermuten würde, habe ich schon an der einen oder anderen Stelle geschrieben. Ich muss aber zugeben, dass jeder neue Fall auch mich etwas überrascht, so viele sind es schliesslich auch wieder nicht. Die aktuelle Überraschung tritt dabei an einer besonders prominenten Stelle auf, nämlich in der Bundesregierung, genauer gesagt im neuen Bundesministerium für Digitales und Staatsmodernisierung (BMDS).


Die erste Anwendung agiler Praktiken findet dabei gleich im Rahmen des Organisationsaufbaus statt. Statt möglichst lange möglicht im Verborgenen an einem möglichst perfekten Organigramm zu arbeiten, das dann nicht mehr verändert werden soll, hat das BMDS bewusst einen noch unfertigen Entwurf veröffentlicht, in gewisser Weise ein MVP. Dadurch sollen möglichst viele der zukünftigen Mitarbeiter früh Wünsche und Feedback äussern können, die dann in spätere Versionen einfliessen können.

 

Und damit nicht genug - diese Transparenz und Offenheit für Rückmeldungen soll nicht nur einmal stattfinden sondern mehrfach, das Ministerium plant "die Umsetzung in eine feste Struktur [...] in Form eines iterativen Prozesses", es wird also mehrere Veröffentlichungs-, Feedback- und Ansassungs-Schleifen geben, bis irgendwann ein Organisationsaufbau in einer Form definiert worden ist, die eine zeit lang stabil bleiben kann (so ähnlich habe ich auch schon einmal gearbeitet).


Alleine das ist für eine Behörde bereits beeindruckend genug, bei der Süddeutschen Zeitung kann man aber nachlesen, dass noch weitergehende Organisationsdesign-Prinzipien umgesetzt werden sollen: in einer Abkehr von sonst üblichen Paradigmen sollen die entstehenden Abteilungen nicht in Form von Silos auf Fach- oder Aufgabenteilungs-Basis entstehen, sondern um so genannte "Missionen" gruppiert sein, also um konkrete Modernisierungs- und Digitalisierungs-Aufgaben.

 

Dazu sollen diese neuen Einheiten nicht einfach über längere Zeiträume vor sich hinarbeiten, sondern stattdessen in überschaubaren Zeiträumen kleinere, aber dafür fertige Ergebnisse abliefern. Die Rede ist dabei von "Projekten mit einer Laufzeit von maximal sechs Monaten". Derartige Intervalle wären sogar mit verschiedenen klassischen agilen Praktiken kompatibel, etwa den Objectives aus OKRs oder den Product Goals aus Scrum. Und im Vergleich zu vielen anderen Behörden sind sie bemerkenswert kurz.

 

Eher der Umbruchssituation geschuldet, trotzdem aber bemerkenswert ist der Improvisationsgeist, von dem die Süddeutsche Zeitung berichtet. Statt sich lange mit den in der öffentlichen Verwaltung legendär langwierigen und komplizierten Bestellprozessen aufzuhalten werden Büroausstattungen gebraucht gekauft oder geliehen, unbürokratisch verteilt und bei Bedarf zweckentfremdet. Und noch etwas erinnert mich an ein eigenes Erlebnis: die pragmatische Beschaffung von dringend nötigem Klopapier.


Ob sich der "agile Geist" in diesem neuen Ministerium halten wird, ist natürlich noch nicht absehbar. Bestenfalls wird er in die Organisationskultur übergehen, schlimmstenfalls wird er sich nach und nach verflüchtigen. Aber alleine dass Agilität an einem solchen Ort, an dem man sie nicht vermuten würde, möglich ist, ist schon für sich genommen eine bemerkenswerte Geschichte. Eine die man durchaus weitererzählen könnte, wenn wieder jemand undifferenziert auf Behörden schimpft.

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