Prescott's Pickle Principle
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Bild: CCnull / Tim Reckmann - CC BY 2.0 |
Nachdem es hier schon länger keine Besprechung eines "Management-Gesetzes" mehr gab, ist hier ein besonders schönes: Prescott's Pickle Principle, geprägt 1985 vom Informatiker und Unternehmensberater Gerald M. Weinberg in seinem Buch The Secrets of Consulting, in dem er zahreiche derartiger halb ernstgemeinter Gesetzmässigkeiten gesammelt und z.T. mit selbst erfundenen Ursprungsgeschichten versehen hat. Ein derartiges, nach dem fiktiven Lebensmittelhändler Prescott benanntes Gesetz lautet:
Cucumbers get more pickled than brine gets cucumbered.Gerald M. Weinberg: The Secrets of Consulting; S. 72
Die zugrundeliegende Idee ist gewissermassen aus der Mengenlehre abgeleitet: die Flüssigkeit in einer Gurke (Cucumber) ist so viel weniger als die im umgebenden Essigglas, dass im Endprodukt der Essiggurke vor allem der Geschmack von Essig (Brine) übrigbleibt, und nur wenig Gurkengeschmack. Dieses Phänomen übertrug Weinberg als ein plastisches Bild auf die Tätigkeit, mit der er beruflich grossteils beschäftigt war - das Change Management.
Übertragen auf Veränderungsprozesse beschrieb er damit das häufige Phänomen, dass Personen, die in eine Organisation geholt werden um neue Impulse einzubringen, sich nach und nach durch Kompromisse, Sachzwänge, Unternehmenspolitik und andere Faktoren an den ursprünglich vorherrschenden Zustand anpassen, bis sie irgendwann zu einem Teil von ihm geworden sind und aufgrunddessen keine Veränderungsimpulse mehr setzen können. Sachlicher ausgedrückt:
A small system that tries to change a big system through long and continued contact is more likely to be changed itselfGerald M. Weinberg: The Secrets of Consulting; S. 73
Diese Betrachtungsweise mag zunächst pessimistisch oder sogar defätistisch wirken, da man sie so verstehen kann, dass am Ende alle Veränderungsvorhaben zum Scheitern verurteilt sind. Das allerdings würde weit an Weinbergs Interntion vorbeigehen, der genau die gegenteilige Aussage treffen wollte: Veränderungen sind möglich, allerdings nur dann, wenn man sich der Mechanismen von Prescott's Pickle Principle bewusst ist und ihnen entgegenwirkt.
Die Analogie der Gurke im Essigwasser wurde in The Secrets of Consulting nämlich noch weiter getrieben - genau wie die harte Schale einer Gurke eine Zeit lang das Eindringen des Essigs verhindert, kann ein Change Agent (oder wie auch immer das auf deutsch heisst) sich eine Zeit lang dagegen wehren, von dem ihn umgebenden sozialen System assimiliert zu werden. In dieser Zeit kann er Wirkung entfalten, er sollte aber in der Lage sein zu erkennen, ab wann das nicht mehr der Fall ist und dann wieder gehen.
Wie alles an derartigen "Gesetzmässigkeiten" ist auch dieser Schluss mit Vorsicht zu betrachten und sollte vor allem im Kontext von Weinbergs Einsätzen in grossen, veränderungs-aversen Organisationen gesehen werden. In diesem Rahmen hat er aber eine gewisse Gültigkeit und erklärt damit auch, warum viele Konzerne, Behörden und sonstige Grossorganisationen in einem Zustand der "Dauerberatung" befinden, und ständig neue Unternehmensberater beauftragen, ohne dass das irgendwann ein Ende findet.
Die Pointe in Weinbergs Buch besteht übrigens daraus, dass der Lebensmittelhändler Prescott den Verkauf von Essiggurken so stark verinnerlicht hatte, dass er in seinem nächsten Geschäft, einem italienischen Restaurant, die Pizza damit belegte. Damit entspricht er dem Antipattern eines Change Agents, der nicht nur zum Teil des ursprünglichen Problems wurde, sondern das auch noch als scheinbare Lösung weiterverbreitete. Eine Mahnung, wie man im schlimmsten Fall selbst enden könnte.