Donnerstag, 18. November 2021

Welches Kanban darfs denn sein?

Bild: Flickr / Paul Downey - CC BY 2.0

"Wir machen Kanban" ist eine Aussage die man mittlerweile von sehr vielen Teams hören kann. Schaut man sich einzelne davon näher an lassen sich allerdings grosse Unterschiede erkennen, zum Teil sogar so grosse, dass praktisch keine Vergleichbarkeit mehr gegeben ist. Das hat mit dem Fehlen eines offiziellen Regelwerks zu tun (sorry, Kanban University), mit Missverständnissen und mit Cargo Cult, selbst wenn man das in Betracht zieht bleibt aber noch eine erstaunliche Vielfalt übrig. Der Grund dafür - es gibt mehrere Varianten von Kanban, die sich z.T. deutlich unterscheiden:


Irgendetwas Sichtbares

Da Japanisch und Deutsch sich stark unterscheiden ist eine wörtliche Übersetzung schwierig, je nach Auslegung lautet sie aber "visuelles Signal", "sichtbare Information" oder etwas Vergleichbares. Damit können zum Beispiel die farbigen Signallampen an Fabrikstrassen oder an Warteschlangen als Kanban bezeichnet werden (was aber fast ausschliesslich japanische Muttersprachler tun). Zur Abgrenzung: nicht in diese Kategorie fallen Zahlen, Buchstaben und Diagramme, für die es eigene Bezeichnungen gibt.


Irgendetwas mit Karten oder Post-Its

Ein spezifischerer Übersetzungs-Versuch ist Signal-Karte oder Informations-Karte (Kan = Sichtbare Information, Ban = Karte oder Post-It). Das ist enger gefasst als die wörtliche Übersetzung, umfasst aber noch immer recht viel, neben den verbreiteten Boards oder Wänden auf denen Post-Its hin und her geschoben werden z.B. auch Kamishibai-Visualisierungen, Planning Poker-Karten und ggf. sogar aus Papierzetteln erstellte Kunstwerke.


Durchfluss-Visualisierungen

Die vermutlich am weitesten verbreitete Definition. In ihr wird unter einem Kanban-System oder Kanban-Board eine Darstellung aufeinanderfolgender Arbeitsschritte verstanden, die von den einzelnen Arbeitspaketen durchlaufen werden (hier ein Beispiel). Dargestellt werden diese Pakete durch Post-Its (physisch) oder Kacheln (digital). Auch hier gibt es eine Abgrenzung: werden keine Arbeitsschritte abgebildet sondern To do, Doing und Done ist es ein Task Board, kein Kanban-Board.


Erweiterte Durchfluss-Visualisierungen

Hier beginnt es für die Tool- und Methoden-Nerds interessant zu werden. Häufige visuelle Elemente in erweiterten Kanban-Systemen sind Work in Progress-Limits (sowohl für die Unter- als auch für die Obergrenzen), Zähl-Punkte für die Messung von Lead Time und Cycle Time und "Parkplätze" für blockierte oder wartende Arbeit, es gibt aber noch zahllose weitere. Für viele "Überzeugungstäter" darf sich nur Kanban nennen was solche Erweiterungen enthält.


Eine Change Management-Methodik

Die vermutlich engste Definition von allen. In ihr hat sich Kanban weitgehend von seinen Ursprüngen in der Visualisierung, bzw. Informations-Übermittlung gelöst und ist zu einer Methode des Change Managements geworden. Die Darstellung eines Arbeitsflusses durch aufeinanderfolgende Arbeitsschritte ist nur noch ein Mittel zum Zweck, und der ist die kontinuierliche und behutsame Optimierung und Effizienzzsteigerung des Gesamtsystems.


Grober Unfug

Wie oben erwähnt, Cargo Cult gibt es überall, also auch hier. Eine seiner häufigsten Manifestationen ist der Glaube Kanban wäre "Scrum mit weniger Meetings" (mitunter auch "Scrum ohne Sprints" oder "Scrum ohne Rollen"). Dahinter steckt meistens guter Wille, falsch ist es aber trotzdem (und auch die Wortschöpfung "Scrumban" macht es nicht besser). Das heisst nicht, dass man das nicht machen könnte, es hat dann aber mit Kanban ähnlich wenig zu tun wie mit Scrum.


Und noch mehr ...

Bei weiterem Suchen würde man mit Sicherheit noch weitere Varianten von Kanban finden, gute, schlechte und viele die irgendwo in der Mitte sind. Wichtig ist es dabei sich über die jeweiligen Unterschiede im Klaren zu sein, denn eines ist angesichts dieser Vielfalt sicher: "Wir machen Kanban" ist zu wenig Information um zu erkennen was genau da gemacht wird.

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